Joanna Hogg - The Early Years

Eine der interessantesten Vertreterinnen des britischen Gegenwartskinos - bis 5.7.

„Wie aus dem Nichts.“ So beschreibt The Guardian in 2008 den Eintritt von Joanna Hogg in die britische Filmszene. Hoggs Geschichten sind vielschichtig und intim, immer nah an den Subjekten und am Geschehen, welches sich meist langsam und organisch entwickelt. Dabei scheut sich die Regisseurin nicht, Menschen mit all ihren Fehlern, Begehren und Nöten darzustellen; ihre Charaktere sind oft kontrovers, egozentrisch und verworren, was letztendlich allerdings nur ihre Menschlichkeit unterstreicht. Geboren 1960 in London, begann Hogg nach der Schule direkt mit Super-8 Kameras und Fotografie zu arbeiten, nachdem Derek Jarman ihr seine Super-8 Kamera lieh. Jarman unterwies die junge Filmemacherin und sie produzierte voranging experimentelle Werke, die oft durch moderne Kunstinstallationen inspiriert waren. Besonders in ihren aktuelleren Werken werden diese experimentellen Einflüsse wieder stärker erkennbar, zum Beispiel in den ätherischen und transzendentalen Bildern und Charakteren in THE ETERNAL DAUGHTER mit Tilda Swinton (2022). Ihre ersten Spielfilme (namentlich UNRELATED, ARCHIPELAGO und EXHIBITION) beweisen, dass Stille und Subtilität mehr offenbaren als so mancher Dialog. Selbst wenn hier Gespräche stattfinden, liegt der Fokus oft in den unterdrückten Emotionen, den unausgesprochenen Wahrheiten und den stillen Schreien aller Beteiligten. Wenn Gefühle überschwappen, dann off-camera, die Kamera verweilt auf betretenden Blicken, peinlich-berührten Szenerien. Hoggs Charaktere bewegen sich in ihren eigenen Sphären zwischen Klassismus, Geschlechternormen und Sehnsucht. Stets mit Bedacht und immer unter dem prüfenden Blick ihrer Gesellschaften, Umgebung und der Zuschauer:innen. In UNRELATED sucht Kathryn Worth als Anna nach Anerkennung, egal von welcher Person sie auch kommen mag und riskiert dafür eine Freundschaft und ein reines Gewissen, wenn sie mehr und mehr auf die Avancen des Sohns ihrer Freundin (Tom Hiddelston) eingeht. ARCHIPELAGO führt fast schon schmerzhaft die Klüfte der englischen oberen Mittelschicht vor Augen, im Mikrokosmos der Familienzusammenkunft im Sommerurlaub. Hier wird auch ganz unmittelbar Hoggs Heranwachsen in England erkennbar: die gnadenlose Unterdrückung von Emotionen aller Familienmitglieder in der Öffentlichkeit, während im Stillen die Fassade bröckelt und der Wunsch nach Selbsterfüllung in stringenten Rollensystemen wächst. Sohn Edward (wieder Tom Hiddelston), kämpft zwischen Identitätsverlust seiner "poshen" Familie und Identitätsfindung, wer er außerhalb dieser und ihrer Erwartungen ist. Eine andere Art der Konfrontation und Überlebenskampf findet in EXHIBITION statt. Künstlerpaar D und H stehen vor dem Verkauf ihres Hauses, einer Ausstellung und der Frage, was im Leben bleibt, wenn man immer nur im Jetzt agiert hat. Während sie Stück für Stück ihre Habseligkeiten und Erinnerungen in Boxen packen, müssen sie sich letztendlich sich selbst und all ihren Entscheidungen stellen, die zu diesem Punkt geführt haben. Hogg ist eine wahre Meisterin darin Spannung zu erzeugen, die in den Charakteren brodelt und simmert und alles zum Einsturz zu bringen droht. In statischen Shots fängt sie all das ein, was zwischen den Zeilen des Dialogs liegen bleibt und zeichnet Bilder von so rohen wie ehrlichen Beziehungen.