Agnès Varda

* 1928 Brüssel, Belgien | † 2019
„Agnès Varda wurde 1928 in Brüssel als Kind griechischer Einwanderer geboren. Sie arbeitete ab 1948 zunächst als Fotografin für das Théâtre National Populaire in Avignon, ehe sie 1954 ihren ersten Film realisierte. LA POINTE COURTE war einerseits deutlich vom italienischen Neorealismus beeinflusst und nahm andererseits die Produktionsmethoden der französischen Nouvelle Vague vorweg. Zur Finanzierung des Films gründete sie die Produktionsgesellschaft Ciné-Tamaris in Paris. Den nächsten langen Film konnte sie erst 1961 fertigstellen. MITTWOCH ZWISCHEN 5 UND 7 machte sie zu einer wichtigen Vertreterin des Nouveau Cinéma. Die „Rive-Gauche“-Regisseure Marker, Resnais, Varda und Demy bildeten zusammen mit den ehemaligen Kritikern der Zeitschrift Cahiers du Cinéma Truffaut, Chabrol, Godard, Rivette und Rohmer das Zentrum der Erneuerungsbewegung des französischen Kinos. Für ihren ersten Farbfilm, LE BONHEUR, wurde Varda 1965 in Berlin mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Die nicht dramatisierte Liebe eines Mannes zu zwei Frauen hat bis heute nichts vom kontroversen Interpretationspotential eingebüßt. Nach einem mehrjährigen USA-Aufenthalt, während dem u. a. der experimentelle LION’S LOVE mit Protagonisten aus dem Musical Hair und der Warhol-Darstellerin Viva entstand, kehrte Varda Anfang der 1970er Jahre nach Frankreich zurück. Zum zentralen Thema ihrer Arbeit wird zu der Zeit die gesellschaftliche Emanzipation der Frau. Herausragendes Beispiel hierfür ist DIE EINE SINGT, DIE ANDERE NICHT (1976): ein trotz des starken Zeitkolorits wenig gealterter Film über die Selbstfindung und Selbstverwirklichung zweier Frauen. Ihren größten Erfolg feierte Agnès Varda Mitte der 1980er Jahre mit VOGELFREI (1985). Sandrine Bonnaire verkörpert mit großer Überzeugungskraft die jugendliche Außenseiterin Mona, deren Verweigerungshaltung gegenüber einer Gesellschaft, die sie ablehnt, tödlich endet. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit in den 1990er Jahren gilt dem Werk ihres 1990 verstorbenen Mannes Jacques Demy. Neben zwei Dokumentationen entstand nach den Kindheitserinnerungen von Jacques Demy der Spielfilm JACQUOT (1991). Einen weiteren Höhepunkt ihrer Karriere markiert der mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilm DIE SAMMLER UND DIE SAMMLERIN aus dem Jahr 2000.“ (Hans-Joachim Fetzer) Agnès Varda war bereits in den 1950er Jahren eine bedeutende Fotografin und kam über die Fotografie zum Kino: „Ich war Fotografin und hatte eigentlich auch keine Absichten, etwas anderes als eine Fotografin zu sein. Ich hatte, wie es damals üblich war, mein Fotolabor bei mir zu Hause. Wie es dann genau zu diesem Switch zur Regisseurin kam, weiß ich nicht mehr ganz genau.“ In AUGENBLICKE: GESICHTER EINER REISE (2017) begab sich die fast 90-Jährige gemeinsam mit ihrem Koregisseur, dem Streetart-Künstler JR, auf einen Roadtrip durch Frankreich, um großformatige Porträts von Menschen herzustellen, denen sie begegneten. Der Film ist eine Art Resümee ihres bewegten Lebens, in dem sie auch Abschied von Weggefährten nimmt. So besucht sie etwa das Grab von Henri Cartier-Bresson. Der berühmte Fotograf war ihr Freund und Vorbild zugleich. Dieses Erinnerungs-Projekt hatte bereits zehn Jahre zuvor mit dem bezaubernden DIE STRÄNDE VON AGNÈS (2008) begonnen. Damals schlüpfte Agnès Varda in eine Rolle, die sie in AUGENBLICKE wieder aufnimmt, „die Rolle der kleinen alten Dame, freundlich, rund und gesprächig, die aus ihrem Leben erzählt. Aber eigentlich sind es die Geschichten der Anderen, die mich interessieren.“ Noch im Februar 2019 präsentierte Agnès Varda auf der Berlinale ihr filmisches Vermächtnis VARDA BY AGNÈS (2019), eine abenteuerliche, heitere, poetische Reise durch ein sechs Jahrzehnte umspannendes Werk. Am 29. März 2019 starb die Fotografin, Installationskünstlerin und große Filmemacherin, die für ihr Lebenswerk mit dem Europäischen Filmpreis (2014) und mit dem Ehren-Oscar (2017) ausgezeichnet wurde.