Jiří Menzel

* 1938 Prag, Tschechien (damals Tschechoslowakei) | † 2020
Jiří Menzel war einer der bekanntesten tschechischen Film- und Theaterregisseure, arbeitete aber auch als Schauspieler. Er wurde am 23. Februar 1938 in Prag als Sohn des Schriftstellers Josef Menzel und Božena Menzel (geb. Jindrichová) geboren und wuchs während der deutschen Besatzung auf. Von 1958 bis 1962 studierte er Regie an der Prager Filmschule FAMU, wo er unter anderem die Regisseurin Vera Chytilová kennenlernte; 1963 war er Regieassistent bei ihrem Film VON ETWAS ANDEREM. Es war die Zeit, in der eine völlig neue Generation von Künstlern heranreifte, die die tschechoslowakische „Neue Welle“ hervorbringen sollte. Neben Menzel und Chytilová adaptierten Jaromil Jireš, Evald Schorm und Jan Němec – allesamt herausragende Vertreter der Neuen Welle – Kurzgeschichten von Bohumil Hrabal für den Omnibus-Film PERLEN AUF DEM MEERESGRUND (1965). Menzel und Hrabal befreundeten sich und schrieben das Drehbuch von LIEBE NACH FAHRPLAN (1966) nach einer Erzählung des Autors. Jiří Menzels Erstlingswerk gilt als ein Schlüsselwerk der tschechoslowakischen Neuen Welle und gewann 1968 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Zwei Jahre später drehte Menzel den gleichermaßen bestechenden Film LAUNISCHER SOMMER (1968), der eine warmherzige Melange aus Nostalgie, Heiterkeit und Weisheit verströmt. Jiří Menzel hatte jedoch wenig Zeit, um aus seinem Oscar-Erfolg Kapital zu schlagen. Vier Monate nach der Verleihung rollten russische Panzer in Prag ein, beendeten damit auch das faszinierende Kino des „Prager Frühlings“. Menzels Karriere war, wie er es ausdrückte, „entgleist“. Während Kollegen wie Miloš Forman und Ivan Passer in die USA auswanderten, blieb Menzel vor Ort. „Ich war der erste tschechische Filmemacher, der an der Arbeit gehindert wurde und konnte mich erst 1974 wieder der Regie widmen“, erklärte er.“ Sein 1969 gedrehter Film LERCHEN AM FADEN nach Hrabals Roman wurde von der Zensur nicht freigegeben und verboten. Der Film blieb unveröffentlicht und konnte erst 1990 nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes bei der Berlinale uraufgeführt werden, wo er den Goldenen Bären gewann. Menzel und Hrabal arbeiteten ebenfalls zusammen an den Drehbüchern von KURZGESCHNITTEN (1981) und DAS WILDSCHWEIN IST LOS (1984), die beide Menzels charakteristische Nostalgie für die Leichtigkeit des Landlebens zeigen. Nicht alle Filme von Jiří Menzel indessen erfreuten sich internationaler Bekanntheit, HEIMAT, SÜSSE HEIMAT (1985) brachte ihn jedoch zum zweiten Mal in seiner Karriere ins Rennen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Auch seine Satire DIE DENKWÜRDIGEN ABENTEUER DES SOLDATEN IWAN TSCHONKIN (1994), eine weitere Geschichte über einen sanftmütig Unschuldigen, der sich in einem abgelegenen Ort verliebt, wurde weltweit vertrieben. In seinen Slapstick-Referenzen zeigt sich die anhaltende Liebe des Regisseurs zur Komödie des Stumm- und frühen Tonfilms. Anklänge an Chaplin finden sich in ICH HABE DEN ENGLISCHEN KÖNIG BEDIENT (2006), Menzels letzter Hrabal-Adaption. Der New Yorker Kritiker David Denby stellte in seiner Filmkritik Ähnlichkeiten zwischen dem leicht trotteligen Helden des Films, dem tschechischen Setting und Menzel selbst heraus: „Das kleine Land, wie der kleine Mann, wird von Tyrannen herumgeschubst, überlebt aber durch Instinkt und Arglist. Es ist, als würde Menzel nicht nur die tschechische Identität nach dem mörderischen 20. Jahrhundert feiern, sondern auch seine eigene Gewitztheit und Beharrlichkeit als Künstler.“ Jiří Menzel konnte mit THE DON JUANS (2013) nur noch einen weiteren Film realisieren, stand aber fünf Jahre später im Mittelpunkt des siebenstündigen Dokumentarfilms CZECHMATE: IN SEARCH OF JIŘÍ MENZEL, eine umfassende Werkanalyse des renommierten Regisseurs und der tschechoslowakischen Neuen Welle. Menzel wirkte darüber hinaus als Theaterregisseur und Schauspieler in Film und Fernsehen. Er trat er auch in einigen seiner eigenen Filme auf (LIEBE NACH FAHRPLAN, LAUNISCHER SOMMER, DIE WUNDERBAREN MÄNNER MIT DER KURBEL) und in vielen nationalen und internationalen Produktionen, insgesamt 80 an der Zahl. Für seine Rolle in Vera Chytilovás NUR EIN BISSCHEN SCHWANGER (1977) wurde er ausgezeichnet, eine Hauptrolle bekleidete er überdies in DIE KLEINE APOKALYPSE (1993) von Costa-Gavras. Jiří Menzel war Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAAS), Gründungsmitglied der Europäischen Filmakademie und der Tschechischen Film- und Fernsehakademie. In den Jahren 1990 bis 1992 war er Leiter der Abteilung für Regie an der Prager Filmschule FAMU. Bis 1998 war er Leiter des Studio 89, einer Abteilung von Short Film Prague und wurde zum Präsidenten des ALFA TV Council (der ersten Stiftung für mittel- und osteuropäische Zusammenarbeit) ernannt. Von 2000 bis Ende März 2003 war er künstlerischer Leiter des Prager Vinohrady-Theaters. Jiří Menzel starb am 5. September 2020. Seine unter dem Titel „Capricious Years“ veröffentlichten Erinnerungen erschienen im Jahr 2013 und wurden bislang leider nicht ins Deutsche übertragen. FILMOGRAFIE (REGIE – AUSWAHL): 1963: OUR MR. FOESTER DIED (Umřel nám pan Foerster) 1965: PERLEN AUF DEM MEERESGRUND (Perličky na dně), Segment MR. BALTHAZAR'S DEATH; Auszeichnungen: IFF Locarno 1965: International critics award der FIPRESCI-Jury & Prix spécial du jury der Jugendjury 1965: VERBRECHEN IN DER MÄDCHENSCHULE (Zločin v dívčí škole), gleichnamiges Segment 1966: LIEBE NACH FAHRPLAN (Ostře sledované vlaky); Auszeichnungen: IFF Mannheim-Heidelberg 1966: Großer Preis, Los Angeles 1968: Oscar für den Besten fremdsprachigen Film, National Critics' Association (USA): 3rd best film of 1967, im Jahr 2005 hat das Time Magazine den Film zu den "100 Best Films of the World" gewählt 1968: LAUNISCHER SOMMER (Rozmarné léto); Auszeichnungen: IFF Karlovy Vary: Crystal Globe u. a. 1968: CRIME IN A MUSIC HALL (Zločin v šantánu) 1969: LERCHEN AM FADEN (Skřivánci na niti); Auszeichnungen: Berlinale 1990: Goldener Bär & FIPRESCI-Preis 1974: WER DEN GOLDENEN BODEN SUCHT (Kdo hledá zlaté dno) 1976: DAS EINSAME HAUS AM WALDESRAND (Na samotě u lesa); Auszeichnungen: IFF San Sebastian: OCIC Preis, IFF Mannheim-Heidelberg: Lobende Erwähnung der FIPRESCI-Jury, IFF Chicago: Silver Hugo 1978: DIE WUNDERBAREN MÄNNER MIT DER KURBEL (Báječní muži s klikou) 1981: KURZGESCHNITTEN (Postřižiny); Auszeichnungen: IFF Venedig 1981: Special Honorary Mention u. a. 1984: DAS WILDSCHWEIN IST LOS (Slavnosti sněženek) 1985: HEIMAT, SÜSSE HEIMAT (Vesničko má středisková); Auszeichnungen: Los Angeles 1986: Oscar-Nominierung, IFF Montréal 1986: Special Prize of the Jury u. a. 1989: ENDE DER ALTEN ZEIT (Konec starých časů); Auszeichnungen: IFF Montréal 1989: Best Director u. a. 1991: PRAGER BETTLEROPER, (Žebrácká opera): Auszeichnungen: IFF Chicago 1991: Honorary Mention u. a. 1994; DIE DENKWÜRDIGEN ABENTEUER DES SOLDATEN IWAN TSCHONKIN (Život a neobyčejná dobrodružství vojáka Ivana Čonkina); Auszeichnungen: IFF Venedig 1994: The Golden Plaque of the President of the Italian Senate u. a. 2006: ICH HABE DEN ENGLISCHEN KÖNIG BEDIENT (Obsluhoval jsem anglického krále); Auszeichnungen: Berlinale 2007: FIPRESCI-Preis, Czech Lions (2007) for the best Czech film & for the best director & for the best camera u. a. 2013 : THE DON JUANS (Donšajni) Text: Matthias Fetzer Quellen: http://www.jirimenzel.cz/cv.php, https://www.theguardian.com/film/2020/sep/08/jiri-menzel-obituary https://www.imdb.com/name/nm0579954/?ref_=tt_ov_dr www.imdb.com/name/nm0579954/?ref_=tt_ov_dr