Nach einer Reihe von Frauenmorden beginnt eine junge Lehrerin Verdacht zu schöpfen, dass ihr neuer Freund, der Dorfmetzger, mehr als nur Rindersteaks und Schweinekoteletts aufschneiden könnte. Der an Hitchcock erinnernde Psychothriller über die Verwirrung und Ambiguität der Gefühle und Wahrnehmungen fasziniert durch seine authentische Atmosphäre und fesselnde Spannung. Claude Chabrols zutiefst beunruhigendes Kammerspiel über menschliche Zwänge und Einsamkeit gilt als eines seiner reifsten und reinsten Werke.
„Die Handlungen stören mich oft, sie hindern mich daran, das zu behandeln, was mich eigentlich interessiert – und was mich interessiert ist immerhin so ausreichend kraftvoll, um prinzipiell jeden ansprechen zu können. Der wirkliche Inhalt meiner Filme, ihr eigentlicher Gegenstand, das sind die Personen und die Form. Mich fasziniert die Konstruktion. Ich bin für einfache Handlungen mit komplizierten Personen.“ In seinem 21. Film kommt Claude Chabrol seiner Prämisse vielleicht am nächsten. DER SCHLACHTER nimmt sich für seine beiden versehrten Protagonisten viel Zeit und verwebt den Schauplatz der Handlung, die ländliche Gemeinde an der Dordogne-Schleife im Périgord Noir, faszinierend mit dem sich dort abspielenden Drama.
Es ist Anfang Oktober. In Trémolat, einem kleinen Ort im Herzen Südwestfrankreichs wird die Hochzeit des Lehrers Léon Hamel mit einer jungen Frau aus dem Dorf gefeiert. Unter den Gästen sind die junge Kollegin des Lehrers, Hélène Davile, die auch Schulleiterin ist, und Paul „Popaul“ Thomas, der Dorfmetzger. Zwischen beiden entwickelt sich ziemlich schnell eine freundschaftliche Beziehung. Popaul offenbart „Mademoiselle Hélène“, wie sie jeder nennt, dass er vor seinem gewalttätigen Vater in die Armee geflüchtet ist und an den Kriegen in Indochina und Algerien teilgenommen hat. Hélène wiederum hat vor Jahren nach einer enttäuschten Liebe Paris den Rücken gekehrt und wohnt in dem Schulhaus, in dem sie unterrichtet. Popaul bemüht sich um Hélène, doch sie will kein Verhältnis mehr riskieren, lässt aber eine gewisse Nähe zu. Sie lädt Popaul zum Essen ein, hält ihn bei seinen Annäherungsversuchen jedoch auf Distanz. Als Hélène an diesem Nachmittag im Ort einkaufen geht, ist dort auch die Polizei aus Périgueux zugange. Die Bäckerin erzählt, dass man die kleine Galetine erstochen im Wald aufgefunden hat. Bei einem Ausflug mit ihrer Klasse zur Höhle von Lascaux entdeckt Hélène ein weiteres Mordopfer. Am Tatort findet sie ein Feuerzeug; es ähnelt dem, das sie Popaul zum Geburtstag geschenkt hat.
ACHTUNG SPOILER!!!
DER SCHLACHTER ist ein subtiles Geflecht von schwankenden Emotionen, wechselnden Stimmungen und psychologischen Einsichten, die in seltener Perfektion zum Ausdruck kommen. „Chabrol geht es nicht darum, einen spannenden Thriller zu erzählen. Die einfache, klar strukturierte Geschichte ist zwar als Kriminalfilm angelegt, doch durch die Verlangsamung des Erzähltempos lenkt Chabrol die Aufmerksamkeit auf die psychologischen Aspekte seiner Hauptfiguren. Er setzt die Landschaft in vielfältige Beziehung zu den Menschen; das ruhige Dorfleben findet seinen Ausdruck in der langsamen Annäherung an seine Bewohner. Ist die erste Hälfte des Films noch hell und freundlich, verfinstert sich die Stimmung, sobald Hélène Popaul der Morde verdächtigt. Mit der Titelsequenz, den Höhlenmalereien der Cromagnon-Menschen, schafft Chabrol eine Beziehung zwischen Steinzeit und Zivilisation: Die atavistischen Impulse des zivilisierten Menschen werden sichtbar in den Taten des Triebtäters. Hélène findet Popauls letztes Opfer nachdem sie mit ihrer Schulklasse die Höhlen besichtigt hat.
Die Hochzeitsfeier vom Anfang funktioniert als Exposition auf mehreren Ebenen: Sie ist der Beginn der Bekanntschaft von Hélène und Popaul; der Schlachter Popaul hat das Fleisch geliefert und schneidet es auf, während Hélène einen ihrer Schüler berät; die Braut ist eines von Popauls späteren Opfern und ihre Beerdigung leitet die Schlusskonfrontation der Hauptpersonen ein. Die Berufe markieren nicht nur einen schwer überbrückbaren Klassenunterschied, sondern bestimmen auch den Umgang miteinander und insbesondere Hélènes Unfähigkeit, diese Distanz zu überwinden, steht einer wirklich persönlichen Beziehung bis zum Schluss im Weg. In Popaul, dem zum Lustmörder gewordenen Schlachter, und Hélène, der Frau die aus Angst vor der Liebe allein lebt, zeigt Chabrol zwei psychisch versehrte, die nicht in der Lage sind , ihre unterschiedlichen Bedürfnisse mitzuteilen.“ (Franz Rodenkirchen). Hélène und Popaul sind beide Opfer, dies erklärt auch ihre stillschweigende Solidarität: er könnte niemals Gewalt gegen sie anwenden, und sie verrät ihn nicht an die Polizei.
La Comédie humaine und die Conditio humana
Claude Chabrol hat aus seiner Faszination für Honoré de Balzac und La Comédie humaine nie einen Hehl gemacht. In DER SCHLACHTER lässt er Hélène Davile einen Auszug aus Balzacs Roman Die Frau von dreißig Jahren diktieren (die Kinder kichern, weil ebenfalls von einer Hélène, der Tochter der literarischen Protagonistin die Rede ist). Anschließend erklärt sie: „Balzac hat versucht, sein Werk als eine Einheit zu schaffen, um so ein Gemälde der Gesellschaft seiner Zeit zu entwerfen.“ Chabrol steht selbst mit seinem umfangreichen filmischen Schaffen in dieser Tradition, gleichermaßen die Triebkräfte des gesellschaftlichen Lebens und die latenten Triebe der Figuren, enthüllend.
„Insektenforscher, Chronist der Bourgeoisie, Soziologe, Seismograf, Sezierer – im Laufe der Jahrzehnte schwirrten stets dieselben nüchternen Etikette um Claude Chabrol herum. Aber Chabrol war kein Sezierer, der sich mit sterilen Instrumenten über sein Sujet beugt. Wenn überhaupt, dann war er der Landarzt der französischen Gesellschaft. Ein listiger Doktor, der um die wahren und die eingebildeten Krankheiten, aber auch um die schrecklichen Familiengeheimnisse seiner Patienten weiß, um die Angst der bürgerlichen Klasse vor dem Besitzverlust. Und der mit ihnen mittags im Bistro um die Ecke gemeinsam das Menu studiert. Dieser Landarzt wusste, dass er die größte Krankheit seiner Patienten, die condition humaine, nicht heilen oder abschaffen konnte. Er zeigte die Gründe, die seine Betrüger, Mörder, Giftmischerinnen zu ihren Taten bewegen. Und er zeigte sie als Auswuchs einer immer auch gesellschaftlichen Bestialität. In DER SCHLACHTER gibt es eine großartige Szene in der Dorfmetzgerei, in der die Kunden mit wohligem Grusel über die Frauenmorde in der Region sprechen. Aber Jean Yanne, der Schlachter, von dem wir schon ahnen, dass er der Triebtäter ist, setzt dem Tratsch seine Erlebnisse als Soldat in Indochina entgegen. Er erzählt von verstümmelten Vietnamesinnen, von erschossenen Kindern, von Lastwagenladungen voller Leichen. Besser kann man gesellschaftliche und individuelle Gewalt nicht an einer Fleischtheke zusammenbringen … DER SCHLACHTER beginnt mit dem Bild einer prähistorischen Höhlenzeichnung. Wenn es einen Regisseur gab, der uns auf sarkastische, listige, grausame und oft auch genießerische Weise vor Augen vor Augen geführt hat, das wir Cromagnon-Menschen sind, die an weißen Tischdecken sitzen, dann Claude Chabrol.“ (Katja Nicodemus)
Der Hélène-Zyklus
DER SCHLACHTER gehört zu einer Reihe von Chabrol-Filmen, die eine Einheit bilden, eine Pentalogie – auch Hélène-Zyklus genannt, umfasst sie außerdem: DIE UNTREUE FRAU (1969), DAS BIEST MUSS STERBEN (1969), DER RISS (1970) und VOR EINBRUCH DER NACHT (1971). In den Filmen heißen die Hauptfiguren Hélène (mit einer Ausnahme verkörpert von Chabrols damaliger Frau Stéphane Audran), Charles und Paul. Mit diesem Personenkreis schuf sich Chabrol ein archetypisches Ensemble des französischen Bürgertums. Wir beabsichtigen den Zyklus in einer losen Folge im kino3 vorzustellen. DER SCHLACHTER, den die Zeitung Le Figaro bei Erscheinen als besten französischen Film seit der Libération bezeichnete, bildet den Auftakt.
Nach einer Reihe von Frauenmorden beginnt eine junge Lehrerin Verdacht zu schöpfen, dass ihr neuer Freund, der Dorfmetzger, mehr als nur Rindersteaks und Schweinekoteletts aufschneiden könnte. Der an Hitchcock erinnernde Psychothriller über die Verwirrung und Ambiguität der Gefühle und Wahrnehmungen fasziniert durch seine authentische Atmosphäre und fesselnde Spannung. Claude Chabrols zutiefst beunruhigendes Kammerspiel über menschliche Zwänge und Einsamkeit gilt als eines seiner reifsten und reinsten Werke.
„Die Handlungen stören mich oft, sie hindern mich daran, das zu behandeln, was mich eigentlich interessiert – und was mich interessiert ist immerhin so ausreichend kraftvoll, um prinzipiell jeden ansprechen zu können. Der wirkliche Inhalt meiner Filme, ihr eigentlicher Gegenstand, das sind die Personen und die Form. Mich fasziniert die Konstruktion. Ich bin für einfache Handlungen mit komplizierten Personen.“ In seinem 21. Film kommt Claude Chabrol seiner Prämisse vielleicht am nächsten. DER SCHLACHTER nimmt sich für seine beiden versehrten Protagonisten viel Zeit und verwebt den Schauplatz der Handlung, die ländliche Gemeinde an der Dordogne-Schleife im Périgord Noir, faszinierend mit dem sich dort abspielenden Drama.
Es ist Anfang Oktober. In Trémolat, einem kleinen Ort im Herzen Südwestfrankreichs wird die Hochzeit des Lehrers Léon Hamel mit einer jungen Frau aus dem Dorf gefeiert. Unter den Gästen sind die junge Kollegin des Lehrers, Hélène Davile, die auch Schulleiterin ist, und Paul „Popaul“ Thomas, der Dorfmetzger. Zwischen beiden entwickelt sich ziemlich schnell eine freundschaftliche Beziehung. Popaul offenbart „Mademoiselle Hélène“, wie sie jeder nennt, dass er vor seinem gewalttätigen Vater in die Armee geflüchtet ist und an den Kriegen in Indochina und Algerien teilgenommen hat. Hélène wiederum hat vor Jahren nach einer enttäuschten Liebe Paris den Rücken gekehrt und wohnt in dem Schulhaus, in dem sie unterrichtet. Popaul bemüht sich um Hélène, doch sie will kein Verhältnis mehr riskieren, lässt aber eine gewisse Nähe zu. Sie lädt Popaul zum Essen ein, hält ihn bei seinen Annäherungsversuchen jedoch auf Distanz. Als Hélène an diesem Nachmittag im Ort einkaufen geht, ist dort auch die Polizei aus Périgueux zugange. Die Bäckerin erzählt, dass man die kleine Galetine erstochen im Wald aufgefunden hat. Bei einem Ausflug mit ihrer Klasse zur Höhle von Lascaux entdeckt Hélène ein weiteres Mordopfer. Am Tatort findet sie ein Feuerzeug; es ähnelt dem, das sie Popaul zum Geburtstag geschenkt hat.
ACHTUNG SPOILER!!!
DER SCHLACHTER ist ein subtiles Geflecht von schwankenden Emotionen, wechselnden Stimmungen und psychologischen Einsichten, die in seltener Perfektion zum Ausdruck kommen. „Chabrol geht es nicht darum, einen spannenden Thriller zu erzählen. Die einfache, klar strukturierte Geschichte ist zwar als Kriminalfilm angelegt, doch durch die Verlangsamung des Erzähltempos lenkt Chabrol die Aufmerksamkeit auf die psychologischen Aspekte seiner Hauptfiguren. Er setzt die Landschaft in vielfältige Beziehung zu den Menschen; das ruhige Dorfleben findet seinen Ausdruck in der langsamen Annäherung an seine Bewohner. Ist die erste Hälfte des Films noch hell und freundlich, verfinstert sich die Stimmung, sobald Hélène Popaul der Morde verdächtigt. Mit der Titelsequenz, den Höhlenmalereien der Cromagnon-Menschen, schafft Chabrol eine Beziehung zwischen Steinzeit und Zivilisation: Die atavistischen Impulse des zivilisierten Menschen werden sichtbar in den Taten des Triebtäters. Hélène findet Popauls letztes Opfer nachdem sie mit ihrer Schulklasse die Höhlen besichtigt hat.
Die Hochzeitsfeier vom Anfang funktioniert als Exposition auf mehreren Ebenen: Sie ist der Beginn der Bekanntschaft von Hélène und Popaul; der Schlachter Popaul hat das Fleisch geliefert und schneidet es auf, während Hélène einen ihrer Schüler berät; die Braut ist eines von Popauls späteren Opfern und ihre Beerdigung leitet die Schlusskonfrontation der Hauptpersonen ein. Die Berufe markieren nicht nur einen schwer überbrückbaren Klassenunterschied, sondern bestimmen auch den Umgang miteinander und insbesondere Hélènes Unfähigkeit, diese Distanz zu überwinden, steht einer wirklich persönlichen Beziehung bis zum Schluss im Weg. In Popaul, dem zum Lustmörder gewordenen Schlachter, und Hélène, der Frau die aus Angst vor der Liebe allein lebt, zeigt Chabrol zwei psychisch versehrte, die nicht in der Lage sind , ihre unterschiedlichen Bedürfnisse mitzuteilen.“ (Franz Rodenkirchen). Hélène und Popaul sind beide Opfer, dies erklärt auch ihre stillschweigende Solidarität: er könnte niemals Gewalt gegen sie anwenden, und sie verrät ihn nicht an die Polizei.
La Comédie humaine und die Conditio humana
Claude Chabrol hat aus seiner Faszination für Honoré de Balzac und La Comédie humaine nie einen Hehl gemacht. In DER SCHLACHTER lässt er Hélène Davile einen Auszug aus Balzacs Roman Die Frau von dreißig Jahren diktieren (die Kinder kichern, weil ebenfalls von einer Hélène, der Tochter der literarischen Protagonistin die Rede ist). Anschließend erklärt sie: „Balzac hat versucht, sein Werk als eine Einheit zu schaffen, um so ein Gemälde der Gesellschaft seiner Zeit zu entwerfen.“ Chabrol steht selbst mit seinem umfangreichen filmischen Schaffen in dieser Tradition, gleichermaßen die Triebkräfte des gesellschaftlichen Lebens und die latenten Triebe der Figuren, enthüllend.
„Insektenforscher, Chronist der Bourgeoisie, Soziologe, Seismograf, Sezierer – im Laufe der Jahrzehnte schwirrten stets dieselben nüchternen Etikette um Claude Chabrol herum. Aber Chabrol war kein Sezierer, der sich mit sterilen Instrumenten über sein Sujet beugt. Wenn überhaupt, dann war er der Landarzt der französischen Gesellschaft. Ein listiger Doktor, der um die wahren und die eingebildeten Krankheiten, aber auch um die schrecklichen Familiengeheimnisse seiner Patienten weiß, um die Angst der bürgerlichen Klasse vor dem Besitzverlust. Und der mit ihnen mittags im Bistro um die Ecke gemeinsam das Menu studiert. Dieser Landarzt wusste, dass er die größte Krankheit seiner Patienten, die condition humaine, nicht heilen oder abschaffen konnte. Er zeigte die Gründe, die seine Betrüger, Mörder, Giftmischerinnen zu ihren Taten bewegen. Und er zeigte sie als Auswuchs einer immer auch gesellschaftlichen Bestialität. In DER SCHLACHTER gibt es eine großartige Szene in der Dorfmetzgerei, in der die Kunden mit wohligem Grusel über die Frauenmorde in der Region sprechen. Aber Jean Yanne, der Schlachter, von dem wir schon ahnen, dass er der Triebtäter ist, setzt dem Tratsch seine Erlebnisse als Soldat in Indochina entgegen. Er erzählt von verstümmelten Vietnamesinnen, von erschossenen Kindern, von Lastwagenladungen voller Leichen. Besser kann man gesellschaftliche und individuelle Gewalt nicht an einer Fleischtheke zusammenbringen … DER SCHLACHTER beginnt mit dem Bild einer prähistorischen Höhlenzeichnung. Wenn es einen Regisseur gab, der uns auf sarkastische, listige, grausame und oft auch genießerische Weise vor Augen vor Augen geführt hat, das wir Cromagnon-Menschen sind, die an weißen Tischdecken sitzen, dann Claude Chabrol.“ (Katja Nicodemus)
Der Hélène-Zyklus
DER SCHLACHTER gehört zu einer Reihe von Chabrol-Filmen, die eine Einheit bilden, eine Pentalogie – auch Hélène-Zyklus genannt, umfasst sie außerdem: DIE UNTREUE FRAU (1969), DAS BIEST MUSS STERBEN (1969), DER RISS (1970) und VOR EINBRUCH DER NACHT (1971). In den Filmen heißen die Hauptfiguren Hélène (mit einer Ausnahme verkörpert von Chabrols damaliger Frau Stéphane Audran), Charles und Paul. Mit diesem Personenkreis schuf sich Chabrol ein archetypisches Ensemble des französischen Bürgertums. Wir beabsichtigen den Zyklus in einer losen Folge im kino3 vorzustellen. DER SCHLACHTER, den die Zeitung Le Figaro bei Erscheinen als besten französischen Film seit der Libération bezeichnete, bildet den Auftakt.